Letzter Ausweg vor der Gewalt

Erschreckend viele Kinder leiden unter Gewalt. Oft sind es ihre Eltern, die ihnen das antun – meist hilflose Frauen und Männer, die mit ihrem Leben selbst nicht fertig werden. Die Elternbriefe fragten Renate Blum-Maurice vom Kinderschutzzentrum in Köln.

An wen können Eltern sich wenden, wenn sie merken, dass sie mit der Erziehung ihrer Kin­der überfordert sind und deshalb Gewalt an­wenden? Oder wenn sie befürchten, dass es dazu kommt?

Spezialisiert auf diese Arbeit haben sich un­ter anderem die Kinderschutzzentren; davon gibt es bundesweit allerdings erst gut 20. An­dernorts vermitteln die Ortsvereine des Kin­derschutzbunds, Erziehungsberatungsstellen oder das Jugendamt Eltern an andere Stellen.

Beim Stichwort „Jugendamt“ zucken viele zu­rück, weil sie fürchten: „Die nehmen uns unser Kind weg.“

Deshalb achten Kinderschutzzentren und andere Ansprechpartner streng auf Vertrau­lichkeit, um Eltern den Zugang zu erleich­tern. Die Familien entscheiden selbst darüber, ob sie Hilfsangebote annehmen wollen oder nicht. Kontakte zu anderen Stellen fin­den nur mit Einverständnis der Eltern statt, eine Strafanzeige ist ausgeschlossen. Übri­gens hat sich auch die Arbeit der Jugend­ämter wesentlich verändert; sie sehen ihre Aufgabe heute ebenfalls in erster Linie darin, den Eltern Hilfe anzubieten.

Wie sieht Ihre Hilfe für die Familien aus?

Wir überlegen gemeinsam mit den Eltern, wie wir ein individuelles Hilfepaket schnüren können. Oft reichen Erziehungs­beratung oder Familientherapie allein näm­lich nicht aus, weil die Familien in tiefen so­zialen Nöten stecken; dann beziehen wir an­dere Helfer ein, zum Beispiel Schuldnerbera­ter, das Wohnungsamt oder Mediziner. Manchmal schlagen wir Eltern auch vor, ihre Kinder vorübergehend in unserer Kinderwohngruppe unterzubringen; in dieser Zeit unterstützen wir sie und helfen ihnen, ihre elterlichen Fähigkeiten zu verbessern.

Ihre Statistik verzeichnet etwas mehr „Fremd­melder“ als „Selbstmelder“…

Das liegt auch daran, dass viele es immer noch als „Versagen“ werten, wenn Eltern die Hilfe einer Beratungsstelle brauchen. Oder wenn sie ihr Kind sogar abgeben. Das macht es Eltern schwer, selbst Hilfe zu suchen. Da­gegen betone ich ausdrücklich: Oft beweisen gerade diese Schritte die größte Verantwor­tung für die Kinder.

Wie geht es weiter, wenn Nachbarn oder Be­kannte Sie auf mögliche Kindesmisshandlun­gen hinweisen?

Wir ermutigen die Anrufer zuerst, selbst Kontakt mit der betroffenen Familie auf­zunehmen und ihre Bereitschaft zu erkun­den, Hilfe von außen zu suchen und an­zunehmen. Dabei unterstützen wir die Anru­fer dann auch. Wenn Gefahr für das Kind im Verzug ist, ergreifen wir allerdings auch von uns aus die notwendigen Schritte, zum Bei­spiel indem wir das Jugendamt einschalten.